Wenn der Dackel von einem Spaziergang erzählen würde…

Manchmal frage ich mich, was Dackeldame Motte sich wohl so denkt, wenn wir spazieren sind…

Vielleicht ja Folgendes:

Der Schlüssel dreht sich energisch im Türschloss. Ich höre natürlich sofort, dass das nur der Chef sein kann. Endlich. Meine innere Uhr hat mich schon vor einer Weile gedrängt, das warme Körbchen zu verlassen und mich in den Flur zu begeben. Dort habe ich nämlich auch ein sehr schönes Schlafplätzchen: ich liege sehr gerne auf den nach Geborgenheit (oder so) duftenden Hausschuhen des Chefs und male mir aus, wie schön es sein wird, wenn er endlich wieder da ist.

Und nun ist es soweit: die Tür öffnet sich und die mich immer noch ganz leise plagende Unruhe hat ein Ende: ich wurde doch nicht verlassen und vergessen. Der Chef freut sich immer so, wenn ich ihn überschwänglich begrüße – ich glaube, auch nach so langer gemeinsamer Zeit bezieht er meine Freude immer noch auf sich und seine Person. Stimmt ja auch irgendwie – aber in erster Linie bin ich doch froh, der drohenden Vereinsamung wieder einmal entkommen zu sein.

Ich bin nun ausgeschlafen, zu allen Schandtaten bereit und weiß genau, dass nun meine Zeit beginnt.
Der große Spaziergang. Jeden Tag gibt es darüber allerdings neue Diskussionen – der Chef besteht darauf, erst hinein zu kommen, sich sogar Schuhe und Jacke auszuziehen (was für ein Unsinn, wir wollen doch direkt los, dachte ich), unwichtige Dinge (er nennt es Kaffee kochen) zu tun oder sich sogar einmal auf einen Stuhl zu setzen. Ein Punkt, an dem ich in meiner Menschenerziehung echt noch arbeiten muss – trotz regelmäßigen Trainings ist der Zweibeiner da echt schwer zu knacken. Ich versuche es zunächst mit durchdringenden, auffordernden Blicken.

Funktioniert nicht. Dann bringe ich eben den Ball und verlange, dass er auf der Stelle mit leckeren Dingen befüllt wird.

Ein kleiner Tipp am Rande: Dackelblick und Ball, kombiniert mit einem leisen, motivierenden Bellen immer abwechselnd eingesetzt bringen den schnellsten Erfolg.

Endlich steht der Chef auf und begibt sich in diesen seltsamen Raum, in dem auch das Ding steht, aus dem manchmal Wasser spritzt. Dann weiß ich: jetzt geht es gleich los. Sicherheitshalber folge ich dem Chef und stupse mit meiner Nase die Tür zu diesem von mir ungeliebten Raum auf – zumindest so weit, dass ich sehen kann, was er dort so treibt. Hinein gehe ich sicherheitshalber nicht: es besteht ja immer die latente Gefahr, in diesem Dusch- oder Badewannen-Dings zu landen und gewaschen zu werden.

Gefahr gebannt – der Chef verlässt diesen ungemütlichen Raum und beginnt, sich endlich wieder Schuhe anzuziehen.

Ich bin ein schlauer Hund – ich weiß, was das bedeutet: Dackel-Time!

Natürlich sporne ich den Chef an und unterstütze, wo ich nur kann: schlecke die endlich mal auf Dackelnasenhöhe befindlichen Hände, ziehe unterstützend an den Schnürsenkeln und schiebe meine Dackelschnauze freundlich zwischen die Menschenfinger. Das blabla, das der Chef von sich gibt, überhöre ich geflissentlich. Vermutlich ist er genauso aufgeregt wie ich – schließlich gehen wir jetzt endlich raus!

Wer jetzt glaubt, dass ich vor der Haustür sofort Gas gebe, der täuscht. Zunächst muss ich vorsichtig testen, wie die Wetterverhältnisse sind. Bei Regen oder nassem Boden relativiert sich meine eigentlich unbändige Energie nämlich deutlich. Heute hat der Chef jedoch alles richtig gemacht, es ist trocken und kühl, so wie ich es liebe. Warum er das nicht immer hinbekommt, weiß ich nicht. Dass mein allmächtiger Chef, der ja sonst auch immer alles bestimmen möchte, für das Wetter zuständig ist, steht natürlich für mich außer Frage. Daher muss er selbstverständlich auch bei nicht so gelungenen Wetterverhältnissen meine schlechte Laune und plötzliche Unlust ungefiltert ertragen. Das hat er dann davon.

Wir treten also aus der Tür, ich scanne kurz die Umgebung. Irgendwelche zweibeinige Leckerchen-Lieferanten in der Nähe? Oder andere Vierbeiner? Möchte mich armen Rolli-Hund vielleicht jemand bedauern oder streicheln? Nein? Dann auf zum ersten Grün.

Dort muss ich dann ausgiebig Zeitung lesen. Unglaublich, diese vielfältigen Gerüche. Sorgfalt braucht Zeit. Und ich bin selbstverständlich sehr gründlich – ich muss doch wissen, was in meiner Umgebung vor sich geht! In der Entfernung vernehme ich ein leises Klingeln. Ich kenne das Geräusch: Klimperdinge, die am Halsband eines vierbeinigen Kollegen baumeln. Sofort bin ich in „Hab Acht“-Stellung –  man weiß ja nie, wer da so kommt. Ein kurzer Blick zeigt mir: ach so, das ist nur der Hund von Nebenan, der ist langweilig. Ich untersuche also in Ruhe weiter die Büsche, während der Chef unruhig von einem Fuß auf den anderen trappelt. Ich könnte mir vorstellen, dass ihm kalt ist. Nun, dagegen hilft Bewegung.

Also gebe ich Gas – und werde gemeinerweise von der blöden Leine gebremst. Der Chef ist, wie immer, zu langsam für mein Tempo. Es dauert immer eine Weile, bis der Chef seine Laufgeschwindigkeit an das dackeltechnisch geforderte Maß angepasst hat. Als er mich gerade fast eingeholt hat, erschnüffelt meine Nase mitten im Lauf einen bemerkenswerten Geruch – und ich bleibe auf der Stelle stehen. Das führt zu interessanten Bremsmanövern des Chefs, der dem plötzlich den Weg blockierenden Dackel im Rolli irgendwie ausweichen muss (der Mensch war ja endlich im Schwung…). Ich werfe ihm schnell einen genervten Blick zu: ob er weiß, wie lächerlich er aussieht, wenn er so ungeschickt über den stehenden Dackel hopst…?

Ich kenne die Wege in der Umgebung mittlerweile und weiß anhand der Richtung genau, was ich vom heutigen Spaziergang erwarten kann. Und diese Richtung, die der Chef einschlagen möchte, sagt mir heute gar nicht zu. Ich möchte aufs Feld. Und wenn ich etwas möchte, kann ich sehr bestimmend und hartnäckig sein. Der Chef nennt mich stur und dickköpfig. Warum er Charakterstärke und Konsequenz immer so negativ benennt, erschließt sich mir nicht. Natürlich setze ich mich auch hier durch. Ich stemme beide Vorderbeine fest in den Boden (die Hinterbeine hängen ja im Rolli) und bewege mich keinen Millimeter weiter in seine Richtung. Früher, als ich noch auf allen vier Beinen unterwegs war, habe ich dann zusätzlich noch den Hals lang gemacht. Ein unbedachter Zug des Chefs an der Leine: und das Halsband rutschte wie von selbst über meine Ohren. Ich musste selbstverständlich davon ausgehen, dass das das menschliche und wortlose Signal für „okay, dann lauf halt frei“ war und genoss meine Freiheit. Oft rannte der Chef erst fluchend und schimpfend hinter mir her. Das Blabla habe ich nicht verstanden, aber offenbar hatte er auch Spaß am Rennen, sonst hätte er es ja nicht getan. Menschen wiedersprechen sich ja so oft mit ihren Worten und Taten selbst, daher widmete ich mich dann zunächst den wirklich wichtigen Dingen des freien Dackellebens und stellte meine langen Ohren auf Durchzug. Wenn nach meiner ersten Euphorie des Chefs Stimme doch wieder zu mir durchdrang, hatte sich der Ton verändert und lockte mit dem Versprechen auf Käsestückchen. Gut, da musste ich ja dann doch mal schauen gehen. Aber erst, nachdem ich dieses vielversprechende Loch in der Erde mitten auf einem frisch umgepflügten Feld ausgiebig untersucht hatte. Ach ja, das war eine schöne Zeit.

Aus dem Rolli-Geschirr komme ich leider ohne Hilfe nicht so einfach heraus. Also habe ich meine Taktik angepasst. Ein Dackel, der einfach nicht mehr weiter geht, kann einem Zweibeiner die Lust am entspannten Spaziergang recht schnell verderben, habe ich festgestellt. Also gehe ich widerwillig drei Schritte, stemme dann die Beine wieder fest in den Boden und schaue den Chef freundlich fragend an. Mitleidige Sprüche von zufällig vorbei kommenden anderen Menschen tun ihr Übriges. Übrigens bedauern sie immer mich, den armen, kleinen gehandicapten Dackel mit den hängenden Ohren, nie den eigentlich eher bemitleidenswerten Chef am anderen Ende der Leine.

Meine Taktik geht auf: wir verstehen uns ja eigentlich gut, der Chef und ich. Er deutet, leicht resigniert, mit einem kaum wahrnehmbaren Zucken eines Fingers in die von mir gewünschte Richtung – und ich gebe wieder Gas und laufe entspannt voraus. Geht doch.

 

 

Fortsetzung folgt…

 

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