Seit heute genau 506 Tagen erziehe ich nun schon mein Personal (auch wenn dieses immer noch der Meinung ist, es sei umgekehrt…). Tagsüber ist es ein immerwährender kleiner Machtkampf – mit deutlicher Erfolgsquote bei mir, finde ich. Aber des nachts habe ich freie Bahn. Ein kleiner Tipp für euch Krummbein-Kollegen dort draußen: Nachts ist das Personal sehr oft einfach wehrlos. Menschliches Schlafbedürfnis setzt sämtliche (für uns Hunde unangenehme oder lästige) Regeln erfahrungsgemäß außer Kraft.
Mein kleiner, mittlerweile echt langer Nachwuchschef ist nur noch am Wochenende bei uns. Erschwert mir dessen Erziehung etwas – er bekommt dann eben in kurzer Zeit eine konzentrierte Ladung Verhaltensregeln ab – und ich eine gehörige Portion Dauerkuscheln. Zum Glück habe ich ein offenbar gutes Fundament geschaffen: ich liebe den Satz: „Aber schau, ich bin doch nicht mehr so oft hier – heute darf Lucy das mal…!“.
Wenn der Zweibeinerwelpe also am Wochenende hier zu Hause ist, weicht der Chef für die Nacht aufs Sofa im Wohnzimmer aus. Und ich leiste ihm natürlich dort Gesellschaft. (klar, ist dann etwas eng – eine Dreisitzer-Couch reicht schließlich gerade so für einen Dackel – aber der Chef hat gelernt, sich einzuschränken. Ich sag ja: Erziehung ist alles.). An diesen Tagen wird mir immer wieder bewusst, was für eine wichtige Rolle ich in meinem Rudel einnehme: wenn der Chef schläft, dann schläft er. Ich glaube, solange seine Bettdecke bleibt, könnte man ihm die Welt unter dem Hintern klauen – er würde es nicht bemerken. Zum Glück hat er ja mich. Und ich passe natürlich auf. Auf alle, auch auf meinen Chef.
Heute Nacht habe ich entdeckt, dass so eine wachsame Nacht im Wohnzimmer für mich auch unerwartete Optionen bieten kann: Kekse!
Der Chef hatte die süßen Köstlichkeiten, die angeblich nicht für Hunde geeignet sein sollen, vom niedrigen Wohnzimmertisch auf den deutlich höheren Küchentisch geräumt. Er war wohl der Meinung, damit alles außer Dackelreichweite geräumt zu haben. Nun ja. Erwähnte ich schon, dass der Chef nichts mehr mitbekommt, wenn er einmal schläft? Ich nutzte meine Chance und trainierte heute Nacht den todesmutigen, gefährlichen und komplizierten Sprung „zwischen den Stuhl-Armlehnen auf die Sitzfläche eines eng an den Tisch geschobenen Stuhls, eigentlich ohne Platz für einen Dackel“. Ein Kunststück mit einem sehr hohen Schwierigkeitsgrad, die Zweibeiner nennen diesen Sprung sogar „unmöglich“. Was soll ich sagen: es hat geklappt! Gesehen und entsprechend gewürdigt hat meinen Erfolg leider keiner, aber dafür bestand meine Belohnung aus einigen sehr leckeren Keksen, die einsam und verlassen auf der Tischoberfläche herumstanden und verführerisch vor sich hin dufteten. Leider beging ich nach dem geglückten Sprung einen groben Fehler und wollte mir einige Kekse (für später) mitnehmen. Mein Sprung von der Tischoberfläche auf den Boden blieb unerwarteterweise nicht unbemerkt, was eventuell an dem Glas gelegen haben könnte, das ich auf dem Weg nach unten umstieß und das gemeinerweise laut klirrend auf dem Boden in viele Einzelteile zersprang. Dieser Lärm hat leider den Chef ganz kurz in irdische Dimensionen zurückgeführt.
Zum Glück wirklich nur ganz kurz – denn er wunderte sich zwar über den Lärm, sammelte brummelnd die Scherben auf – aber kam gar nicht auf Idee, mich mit diesem Malheur in Verbindung zu bringen. Puh, Glück gehabt. Da ich ja ein sehr netter Dackel bin, kuschelte ich mich anschließend wieder eng an den Chef und wärmte ihm ungefragt die kalten Füße. Außerdem war ich so nett und schmatzte nur noch ganz leise, um seine Nachtruhe nicht weiter zu stören.
Selbstlos halt, wie wir Dackel nun mal sind. Und erfolgreich.
Morgens stellte mein Chef den Schwund an Keksen aus der Schüssel auf dem Küchentisch fest – aber ich merkte selbstverständlich sofort, dass er an seiner Wahrnehmung und an den Erinnerungen an die letzte Nacht zweifelte und Schwierigkeiten mit der Trennung „nur geträumt“ und Realität hatte. Mit meinem unbekümmerten Wesen, sicherheitshalber untermalt von einem perfekten Dackelblick, bestärkte ich ihn sofort in seiner Annahme, er habe das alles doch nur geträumt.

Ein gut erzogener Dackel wie ich würde schließlich niemals die Hilflosigkeit eines schlafenden Zweibeiners ausnutzen.