Der Spaziergang geht weiter…

Mein Spaziergang geht weiter (den ersten Teil findest Du hier):

Ich habe den Chef überzeugt: wir gehen aufs Feld. Ich habe mich (wie fast immer) erwartungsgemäß durchgesetzt. Der Chef folgt mir bereitwillig. So richtig voran kommen wir aber nicht. Wenn wir andere Menschen treffen, müssen wir fast immer kurz stehen bleiben – und wir treffen hier ständig andere Zweibeiner. Seit ich gehandicapt bin, muss der Chef, ob er will oder nicht, echt kommunikativ sein. Der Chef beantwortet die vielen, immer gleichen Fragen echt freundlich: „Was ist denn mit dem armen Kleinen?“ oder „Oooh, der süße, arme kleine Hund! Kann der nicht mehr laufen…?“

Ich habe gelernt, dass Menschen, die „Oooh“ sagen, sehr willig sind, mich hinter den Ohren zu kraulen, und, wenn es ganz gut läuft, sogar etwas Essbares aus ihren Jackentaschen zaubern. Heute verdirbt mir der Chef aber mal wieder den Spaß – denn er mag es gar nicht, wenn mir von Menschen, die er nicht kennt, Dinge ins Maul geschoben werden, die er auch nicht kennt. Ist aber heute nicht so schlimm – ich habe keine Zeit, ich möchte schließlich aufs Feld. Vielleicht treffen wir auf dem Rückweg ja diese Menschen noch einmal – dann habe ich Zeit und Muße (und vermutlich vor Allem Hunger). Ich hole mir also kurz ein paar Streicheleinheiten ab und zeige dann ziemlich deutlich, dass ich nun aber endlich weiter möchte.

Ich weiß ja auch genau, dass mich vom Feld noch ein paar Straßen trennen. Straßen überqueren ist auch so etwas Anstrengendes. Jedes mal, wenn das Ende des Bürgersteigs erreicht ist, zwingt mich der Chef, stehen zu bleiben. Ich finde es zwar furchtbar nervend, offenbar grundlos meinen Lauf zu unterbrechen und erst auf ein Kommando weiter zu laufen, habe mich allerdings schon so daran gewöhnt, dass ich automatisch anhalte, wenn wir ein (abgesenktes) Bürgersteigende erreichen – selbst, wenn der Chef offenbar mal wieder nicht bei der Sache ist und seine Bitte vergisst. Meinen strafenden Blick, wenn ich (aus Gewohnheit) stehen bleibe, hat er sich dann echt verdient. Und ich werde wieder mal in meiner Meinung bestätigt: Konsequenz ist eher Hundesache und mein aktives Mitdenken offenbar so wichtig.

Endlich, die letzte Straßenkreuzung haben wir geschafft. Wir haben die weiten Felder erreicht.

An so einem schönen Tag wie heute sind wir natürlich nicht alleine dort. Viele Zwei- und Vierbeiner sind ebenfalls unterwegs. Ich scanne die anwesenden Hunde auf Gefahrenpotential. Der Chef wird bei manchen Hunden nervös. Warum, weiß ich nicht genau, aber ich passe sicherheitshalber verstärkt auf ihn auf.

Da hinten sehe ich die kleine, weiße Hündin, die wie ein weiches, harmloses Plüschtier aussieht, aber in Wirklichkeit eine echte Zicke ist. Die mag ich nicht. Ihr muss ich natürlich sofort lautstark mitteilen, dass ich sie zuerst gesehen habe, sie sich auf meinem Weg befindet und von dort sofort verschwinden soll. Der Chef hat für meine Maßregelung überraschend gar kein Verständnis. Ich muss jetzt direkt und unglaublich langsam neben seinen Füßen gehen (ich hasse das!). Und vernehme trotz des Lärms, den ich veranstalte, das sacht gesprochene Wort „leise.“. Ich weiß sehr wohl, was der Chef nun von mir erwartet – aber da die wuschelige Hundelady mich nun ebenfalls bemerkt hat und zurück pöbelt, kann ich der Bitte des Chefs natürlich jetzt gerade nicht Folge leisten. Gleich, von mir aus – aber nicht jetzt. Früher hat der Chef mich angebrüllt, ich solle leise sein. Ha, wenn er brüllt: ich kann das noch lauter! Irgendwann hat er mal die Taktik geändert. Er sagt leise jetzt eben auch leise. Gemein – er nimmt mir damit alle Argumente, ihn in der Lautstärke zu übertrumpfen…

Nun ja, zumindest auf den vom Plüschball mitgeführten Zweibeiner scheine ich Eindruck zu machen, denn er zieht das Weib mit den gebleckten Zähnen in großem Bogen an uns vorbei. Ich verbuche das mal unter Sieg nach Punkten für mich.

Sobald die Zicke an uns, also an meinem rolliverpackten Hinterteil, vorbei ist, verstumme ich. Von meiner Seite ist sofort alles wieder gut. Der Weg ist frei. Was hinter mir ist, interessiert mich nicht. Ich schenke dem Chef einen schrägen Blick; aus Erfahrung weiß ich, dass er, obwohl ich nicht, wie gewünscht, sofort auf seine Bitte reagiert habe, wesentlich besänftigter reagiert, wenn ich dabei die Ohren hängen lasse und ein wenig reumütig schaue. Natürlich fühle ich mich in dem Moment nicht so – ich musste diese kleine, fiese Nervensäge schließlich unbedingt in ihre Schranken weisen. Für so etwas hat der Chef aber überhaupt kein Verständnis –  und ich habe es aufgegeben, ihn von der Sinnhaftigkeit überzeugen zu wollen. Meinen leicht beschämten Blick: den mag der Chef. Und ich mag einen entspannten Spaziergang ohne großes menschliches Blabla. Eine win-win-Situation.

Ich habe kaum Zeit, den Wegrand auf interessante Gerüche zu untersuchen: da vorne sehe ich den nächsten Hund. Ich hole bereits tief Luft, um mich bemerkbar zu machen – und erkenne: das ist doch Amy, der Nachbars-Jack-Russel. Die mag ich. Wenn wir uns vor der Tür treffen, beide an der Leine, veranstalten wir gerne wildes Umeinanderkreiseln. Zu lustig, wie die Chefs sich dann bemühen, Knoten in den langen Bändern zu verhindern oder, wenn wir erfolgreich sind, diese wieder zu entwirren. Ob die Zweibeiner wissen, wie lächerlich sie dabei aussehen…?
Aber hier, auf dem Feld, reicht uns vierbeinigen Freundinnen ein kurzes Hallo, und dann gehen wir beide unseren an sich viel wichtigeren Schnüffelaufgaben nach.


Besonders gerne gehe ich mit meinem großen Freund Bosse spazieren. Der ist wirklich sehr groß und beeindruckend. Also nicht für mich: ich bin ein Dackel – bloße Größe beeindruckt mich wenig.  Aber Bosse ist genauso wild auf spannende Mauselöcher wie ich und außerdem mir gegenüber ein sehr höflicher Hund, der sogar, ganz gentlemanlike, auf mich aufpasst. Kann ich natürlich eigentlich selbst, aber ganz ehrlich, Mädels: es ist auch mal sehr entspannend, ab und zu einen starken Kerl an der Seite zu haben, der die Umgebung im Auge behält und mir damit ein wenig Verantwortung für den Chef abnimmt. Gemeinsame Leidenschaft für Löcher im Feldrain schweißt zusammen. Meinen Rolli und mein Handicap kennt und ignoriert er (ich bin halt so – andere Vierbeiner stehen dem Rolli und meinen nicht mehr vorhandenen Bewegungen in Rute und Hinterteil oft sehr skeptisch gegenüber).
Leider ist er heute nicht hier.

Dafür aber ein mir unbekannter, schwarzer Hund, der auf den Chef und mich zugestürmt kommt. Da er nicht von einer Leine gebremst wird, gibt er richtig Gas. Ich merke durch das Band, das den Chef und mich verbindet, dessen Unruhe und bin sofort in Habacht-Stellung. Schwarze, große Hunde mag ich außerdem per sé nicht – mich hat mal ein (freilaufender) schwarzer Hund im Wald sehr bedrängt, da ist der Chef sehr böse geworden und ist für mich überraschend vehement dazwischen gegangen – hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Natürlich hätte ich mich auch selbst wehren können, aber ich war damals so überrascht von der für mich bisher unbekannten extremen Reaktion des Chefs – ich war echt kurz sprachlos. Seitdem bin ich aber allen schwarzen Vierbeinern gegenüber zunächst sehr skeptisch – irgendetwas muss gefährlich an ihnen sein, das teilt mir der Chef durch seine plötzlich zittrige Hand, die die Leine hält, ja sehr deutlich mit. Auch, wenn uns Hunde begegnen, die der Chef Schäferhunde nennt, wird er sehr unruhig, selbst, wenn die noch ganz weit weg sind und ich selbst meine Meinung zu diesem Vierbeiner noch gar nicht kundtun konnte. Offenbar hat der Chef irgendein Problem mit manchen Hunden, da muss ich natürlich verstärkt (auf ihn) aufpassen.

Leider werde ich, wenn ich hektisch bin, eher schrill von meiner Bell-Lautstärke. Ich weiß, das ist nicht gut und zeugt nicht unbedingt von Souveränität. Ärgere mich selbst darüber, kann es aber leider gerade in diesem Moment nicht verhindern. Ich bin ja in größter Sorge um meinen Chef (auch, wenn ich nicht genau weiß, warum eigentlich)!

Zum Glück sind wir ein Team – auch wenn die Aufgabenverteilung nicht ganz meinem persönlichen Empfinden entspricht. Der Chef vergisst seine Angst vor allen anderen felltragenden, bellenden Vierbeinern (außer mir) und stellt sich todesmutig vor mich. Dann kann ich aber leider nichts mehr sehen – außerdem ist Schutz ja nunmal mein Job – Handicap hin oder her. Ich bin schließlich ein Dackel. Also dränge ich mich energisch am Chef vorbei. Dem schwarzen Satansbraten werd ichs zeigen! Leider kommt es nicht dazu.
Der Chef greift beherzt zu und hebt mich hoch. Gemein. Der Gegner bleibt kurz stehen. Ich weiß genau, er peilt die Lage. Und stuft den Chef als nicht ernst zu nehmend und meine nun erreichte Entfernung vom Boden als kein echtes Hindernis ein. Der Einzige, der das wie immer nicht sofort versteht, ist der Chef. Er dreht sich (und mich damit mit) weg, ich bemerke die Panik, die ihn durchströmt. Und bin mir sicher, der Andere merkt das auch. Natürlich belle ich – so laut ich kann. Der Zweibeiner, der zu dem schwarzen Ungetüm gehört, ist übrigens völlig entspannt – ich habe die Zeit, das zu bemerken. „Lassen Sie doch die Hunde das unter sich ausmachen“ ruft er dem Chef aus den immer noch gut drei vollen Leinenlängen Entfernung zu. Und macht keine Anstalten, seinen Hund zu rufen. Und jetzt erlebe ich meinen Chef plötzlich ganz anders. Er spannt jeden Muskel an (merke ich – ich bin ja ganz nah bei ihm!) und schimpft mit fester Stimme. Wenn er mit mir schimpft, habe ich diesen Tonfall nur ganz selten erlebt – aber ich weiß: nun ist es ihm ernst, sehr ernst. Selbst der schwarze Hund, von dem ich ja immer noch nicht weiß, was er eigentlich möchte, ist kurz, aber sichtbar beeindruckt und stoppt aus vollem Lauf. Was genau der Chef sagt, verstehe ich nicht. Und sehen kann ich auch nichts – ich bin ja immer noch vom Geschehen weggedreht. Freundlich ist das Blabla jedenfalls definitiv nicht. Zum Glück ist der Chef des anderen Vierbeiners nun endlich auf unserer Höhe und zwingt seine Lackritznase an seine Seite. Ich merke, dass die Panik beim Chef nachlässt. Er ist immer noch ungehalten und schimpft weiter in scharfem Tonfall. An der Körperhaltung des anderen Zweibeiners kann ich erkennen, dass er uns nach wie vor nicht ernst nimmt. Dennoch muss ich leicht bewundernd zugeben, dass ich den Chef selten so bestimmt und erkennbar sauer erlebt habe. Und das scheint doch irgendwie Eindruck auf das gegnerische Paar aus Zwei- und Vierbeiner zu machen. Der andere Hund wird am Schlafittchen gepackt und muss neben seinem Chef laufen. Und ich entspanne mich langsam wieder. Nur einmal muss ich doch sicherheitshalber noch Laut geben. Ich bin ja schließlich auch noch da. Und ich hätte die Situation auch ganz alleine klären können, das muss ich (dem Chef und natürlich dem anderen Hund) einfach deutlich machen.

Dann setzt mich der Chef wieder auf den Boden – und ich habe den kleinen Zwischenfall sofort  verdrängt und frage bei diversen Mauselöchern durch Hineinschnauben nach, ob vielleicht jemand zu Hause ist und sich ein Buddeln lohnt. Der Chef ist immer noch angespannt und offenbar nicht ganz bei mir. Ich kümmere mich jetzt natürlich sofort um ihn: „Chef, hast du den Ball dabei?“ Und tatsächlich, der Chef kramt in seiner Jackentasche und fördert meinen kleinen, geliebten roten Ball zu Tage.

Endlich wird dieser Spaziergang wirklich spannend und sinnvoll für mich! Auch als gelähmter Dackel kann ich (selbst ohne Rolli) für die Zweibeiner unerwartete und erstaunliche Geschwindigkeiten erreichen – wenn ich will. Und jetzt will ich! Andere Hunde interessieren mich jetzt übrigens überhaupt nicht mehr – ich habe ja meinen Ball, den ich jagen, fangen und unbedingt in ausgerupftes Gras einwickeln muss. Der Chef muss jetzt mal ein paar Minuten selbst auf sich Acht geben – schafft er sicher. Ich bin ja trotz meines Balls immer ein bisschen bei ihm.

 

Trotz des kleinen Zwischenfalls mit dem neugierigen Hund und dem für den Chef offenbar  anstrengenden Zweibeiner ist das heute wieder ein toller Spaziergang, finde ich. Hoffentlich dauert er noch ganz lange! Ich möchte jedenfalls noch nicht nach Hause…

 

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