Ich mag ja Rituale, Beständigkeit und Regelmäßigkeit. Morgens erst Rausgehen mit ausgiebigem Zeitung lesen und Pippimachen, dann gibts Futter für Dackel und dann ein kleines Schläfchen – und oft fahren wir dann auch in mein Büro. Herrlich. Mittags ist Zeit für die große Runde – und da ist es mir völlig egal, ob wir gerade erst kurz draußen waren (weil ich außerplanmäßig mal dringend musste). Manchmal macht der Chef zwar das Wetter kaputt und es ist nass oder unglaublich heiß. Das macht er aber immer nur, um mich zu ärgern: da bin ich mir sicher.
Aber manchmal wirft der Chef auch alles durcheinander… So wie neulich. Er rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung, wirft Klamotten in einen Koffer, wirkt leicht genervt und ignoriert mich und meinen fragenden Blick völlig.
Reisevorbereitungen? Nicht ohne Dackel!
Neulich war wieder so ein Tag, an dem alles anders war. Meine Güte, das war stressig. Vor Allem, weil ich ja aufpassen musste, dass ich nicht übersehen wurde. Also klebte ich dem Chef förmlich an den Fersen – was bei dieser Unruhe gar nicht so leicht war – ein wenig Anerkennung für meine Leistung wäre an dieser Stelle echt angebracht – von meinem Personal kam da bedauerlicherweise gar nichts. Zumal der Nachwuchschef, der morgens sonst eigentlich immer sehr, sehr entspannt und langweilig ist, dann auch noch unruhig wurde. Irgendwas war los und durchbrach meine geliebte Routine. Ich ahnte ja noch nicht, dass dies der Auftakt zu einem der aufregendsten Wochenenden meines bisherigen Lebens war.
Die Gummiband-Quali
Zum Glück habe ich die sogenannte Gummiband-Qualifikation: ich schaffe es mühelos, immer maximal einen Meter von den Füßen des Chefs entfernt zu sein, als ob wir mit einem unsichtbaren Gummiband verbunden wären. Ist aber echt anstrengend.

Und so wurden nicht nur der Nachwuchschef, Koffer, Taschen und sogar mein Körbchen ins Auto gepackt, sondern selbstverständlich auch ich. Und dann passierte…: lange Zeit gar nichts.
„Mach mal schnell Pippi!“
Wir fuhren also in der Brummkiste. Lange, sehr lange. Viel länger, als sonst ins Büro. Mit ein paar Pausen, in denen ich auf fremden Plätzen „schnell mal“ Pippi machen sollte. Hallo? Dort lagen so viele Dinge, die verführerisch dufteten. Erst wurde ich um meinen Mittagsspaziergang gebracht, dann sollte ich „mal schnell“ Pippi machen und durfte noch nicht mal in Ruhe das köstlich müffelnde, gerade mal zwei Wochen alte, achtlos weggeworfene Fleischwurstbrötchen zu mir nehmen? Na, das konnte ja noch heiter werden. Meine Laune sank.
Nach einer unendlich langen Zeit kamen wir dann an. Wo genau, war mir nicht nur herzlich egal, es interessierte mich auch nicht. Viel spannender war dieser Park, in den der Chef mich nun lotste und die magischen Worte sprach: „Dackeltime!“. Kinder, es roch dort völlig neu – und diesmal musste mich niemand zum Pippimachen überreden. So viele Blumen und Bäume, die von mir unbedingt als „meins“ markiert werden mussten. So definiert man positiven Stress. Zum Glück war ich ausgeruht und energiegeladen.

Willkommen in Berlin
Ich bemerkte sehr wohl, dass der Nachwuchschef irgendwie ein wenig enttäuscht zu sein schien. „Berlin? Hauptstadt? Hier ist es ja dörflicher und grüner als in dem Städtchen, in dem wir leben…“. Der Chef grinste nur wissend. Warum, war mir da noch nicht ganz klar. Ich fands prima dort in diesem Park. Und außerdem stand mein großer Spaziergang ja schließlich seit Ewigkeiten aus. Leider musste ich dann aber nach gerade mal knapp einer Stunde Büsche untersuchen schon wieder in die kleine Brummkiste einsteigen. Ich ahnte schon: Irgendwie war alles anders, dieses Berlin schien meine geliebten Rituale auch weiterhin völlig durcheinander zu bringen…
Nach einem kurzen Stopp in etwas, was der Chef „Hotel“ nannte, durfte ich endlich wieder laufen. Aber nur an der Leine – und zwar an der kurzen. Es war unglaublich laut: so viele Brummkisten auf einem Fleck hatte ich ja noch nie gesehen… Eigentlich war es längst Zeit, dass der Chef das Abendessen für die Zweibeiner richtete. Anschließend erwartete ich, wie immer, mein kleines Kämpfchen und dann mein Gute-Nacht-Fressen. Aber nein, wir liefen durch Straßen, Parks und kehrten schließlich in einem kleinen, sehr gemütlichen Restaurant ein, wo ich mich auf meine mitgebrachte Decke unter den Tisch legen und ruhig sein sollte… Nun gut, ein ganz kleines bisschen müde war ich jetzt nach diesen vielen neuen Eindrücken doch schon wieder.
Zum Glück war es dort drin wenigstens nicht so laut wie an der Straße – nur deshalb gab ich nach. Also zumindest so lange, bis noch andere Menschen dieses Etablissement betreten wollten. Das war doch jetzt mein Restaurant, oder etwa nicht? Die Neuankömmlinge musste ich daher lautstark darauf hinweisen, dass ich hier der Dackel war. Und selbstverständlich aufpasste. Aber war ja klar: der Chef maulte und sagte, die dürften nicht nur auch reinkommen, sondern sich sogar setzen. Und das, obwohl ich sie weder geprüft hatte noch ihnen ihre Grenzen erklären durfte…

Ich hatte keine große Lust mehr auf Diskussionen und fügte mich halt – aber widerwillig. Immerhin gab es, bevor wir gingen, noch ein Stückchen Lachs für mich (ich bin ja käuflich, kommt halt auf den Preis an): tolles Restaurant, das Ristorante Daniele. Der Chef sagt, die handgemachten Nudeln mit Lachs waren spitze. Kann ich nicht beurteilen, ich musste ja bis auf dieses winzige Stückchen Lachs nach wie vor hungern.
Nach dem Essen der Zweibeiner gab es übrigens schon wieder gleich mehrere Regelverletzungen: Es gab kein Kämpfchen mit mir auf dem Sofa (vielleicht lag es am fehlenden Möbelstück…), keinen gefüllten Futternapf mit meiner Nachtmahlzeit (nur dieses klitzekleines Stückchen Lachs…) und keine Kuscheleinheit . Dabei war es doch eigentlich schon längst Schlafenszeit für Dackel… Statt dessen wurde ich hinaus in den Regen geschickt: ja, es regnete. Auch das noch. Und ich sollte laufen. Was für eine Unverschämtheit. Ganz kurz dachte ich über meine Alternativen nach und kam dann zu dem Schluss, dass eine Meuterei an dieser Stelle wohl nicht viel bringen würde.
Also dackelte ich eben hinter den Zweibeinern her, als ein hundgewordener, regennasser Vorwurf. Meine Zeit würde schon noch kommen.
Und sie kam, als wir endlich wieder im Hotel waren und der Chef sich bemühte, meine Laune durch Futter und kuscheln wieder zu heben.
„Futter geht doch immer, macht alles wieder gut und vergessen“ ist der wohl am weitesten verbreitete Irrtum der Zweibeiner im Bezug auf uns Vierbeiner.
Natürlich fraß ich nichts. So. Hatte der Chef jetzt davon, dass ich hungern musste. Ich strafte ihn selbstverständlich darüber hinaus mit der ihm nun gebührenden Verachtung (Futter, Kuscheln und Kämpfchen wären schließlich schon vor Stunden fällig gewesen!). Ich rollte mich zum Trocknen lieber als lebender Vorwurf auf dem Schoß des (leise was über „bäh, nasser Hund“ maulenden) Nachwuchsschefs ein. Dann bemerkte ich, dass das Bett des kleinen Chefs überraschenderweise auch in Reichweite war (sonst sind er und sein Bett für mich unerreichbar hinter verschlossenen Türen versteckt). Damit war klar: der Chef musste heute auf mich verzichten – ich zog die Gesellschaft des kleinen Chefs vor.
Hatte der Chef jetzt davon, dass ich hungern musste und die wichtigen, allseits bekannten Dackel–Regeln von den Zweibeinern mutwillig nicht befolgt wurden.
Gut, der kleine Chef murmelte was von „Super, wenn der Dackel nass ist und müffelt, kommt er zu mir…“, aber ich ignorierte den vermeintlich genervten Tonfall geflissentlich. Schließlich war es ja auch für den jungen Zweibeiner ein anstrengender Tag gewesen. Da half nur eine große Portion Dackel-Intensiv-Kuscheln, dessen war ich mir sicher.
Zum Glück schlief ich dann aber gut und tief – denn der nächste Tag sollte sehr, sehr anstrengend werden. Hätte ich das vorher gewusst…
Fortsetzung folgt…
Hinweis von Lucy und dem Chef: der Chef erwähnt hier immer mal wieder Dinge wie Lokale, Hotels oder so. Wir bekommen dafür nix – aber vielleicht ist es ja eine Entscheidungshilfe, wenn Ihr mal diese Hauptstadt besuchen möchtet… 😉